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Nürnberg in drei Tagen

21. 10. 2023

Wenn jemand eine Reise tut,
so kann er was erzählen
 

Die diesjährige Tour der TSV-Männergymnastik führte uns nach Nürnberg. Am 14. 7. 2023 gegen 9:30 Uhr ging es los, und 14 Mann in 4 PkW machten sich auf den Weg. Wegen Staumeldungen auf der A3 konnte auch eine Alternativroute über Fulda und Bamberg gewählt werden. Der eigentliche Stau lauerte aber erst auf dem Frankenschnellweg bei Fürth, von wo aus es nur noch lächerliche 7 Kilometer bis zu unserem Ziel, dem Hotel Keiml in der Nürnberger Innenstadt sind. Diese Strecke legte die erste deutsche Eisenbahn mit der legendären Adler-Lok mit einer Geschwindigkeit von sagenhaften 25 km/h zurück. Kein Wunder, dass Ärzte angesichts dieses Tempos vor Schwindel warnten und das Volk in die Kirchen strömte, aus Angst vor dem feuerspeienden Ungetüm, das direkt aus der Hölle zu kommen schien. Man sieht der Deutsche war auch damals schon anfällig für Angst und Panik, von der sich der Fortschritt allerdings nicht aufhalten ließ. Denn zu groß waren die Vorteile der Innovationen.


Die Durchschnittsgeschwindigkeit derjenigen PkWs, welche den Stau nutzten, um den Frankenschnellweg in all seiner Pracht ausgiebig zu genießen, betrug am Ende für die letztem 7 Kilometer lediglich 10 km/h, so dass selbst der vorsichtigste Arzt keine Schwindelbeschwerden befürchtet hätte. Denn sogar auf einem Pferd oder Esel wären wir auf dieser Strecke schneller gewesen als im Auto, vorausgesetzt natürlich wir könnten auf etwas anderem herumreiten als auf immerwährenden Themen.


Das Hotel Keiml, unsere Unterkunft für die nächsten beiden Tage, liegt zentral in der Fußgängerzone der Luipoldstraße. Einige Zimmer gehen auf den Hinterhof hinaus, die anderen haben Stadtblick. Nur zwei Ecken entfernt fanden wir uns nach der Zimmerbelegung zu einem kleinen Imbiss im „Behringer’s Wurstglöcklein“ im Handwerkerhof ein, wo die rührigen Organisatoren der Tour Plätze reserviert hatten. Leider hatte uns die ausgiebige Besichtigung des Frankenschnellweges nicht nur Zeit, sondern auch die reservierten Plätze gekostet, was aber mittels des in unseren Kreisen selbstverständlich reichlich vorhandenen Organisationstalents zeitnah korrigiert werden konnte, und nach dem ersten Kaltgetränk auch vergessen war (womit eine weitere herausragende und manchmal durchaus nützliche Eigenschaft unserer Reisgruppe genannt ist).


Die Hauptattraktion des ersten Tages führte uns per Regionalexpress ins Nürnberger Hinterland nach Burgthann, wo im Rahmen der Eppelein-Festspiele im Freilichttheater der Burg das Volksstück „Eppelein von Gailingen“ aufgeführt wurde. Vorab sei schon gesagt, dass Eppelein nicht die Fränkische Variante des weltweit beliebten Hessischen Äppelwein oder Äppelwoi ist, sondern der Name eines verarmten Fränkischen Ritters, den die Nürnberger Pfeffersäcke in den Ruin getrieben hatten, so dass er auf Bürgergeld angewiesen war. Dazu aber später mehr.


Zunächst verhieß uns der Tourenplan aber einen kleinen Rundgang durch Burgthann. Dieser führte uns eine gut ausgebaute sonnige Straße bergauf, senkte sich dann in einem geschmeidigen nicht zu schattigen Bogen abwärts, um sich in einem letzten sportlichen Anstieg dem Gasthaus „Goldener Hirsch“ und der Burg samt Freileichtbühne zu nähern. Da es beim nächtlichen Rückweg, welcher den Kreis des angekündigten Rundgangs vollenden würde, mangels Licht wenig zu sehen gab, buchten einige Sportfreunde, denen weniger am Gehen an sich als am Anblick der durchwanderten Landschaft gelegen war, in weiser Voraussicht ein Cateringfahrzeug als Sammeltaxi.


Der „Goldenen Hirsch“ bot - wie wir erwartet und erhofft hatten - Fränkische Küche und gutes Bier. Auf Anfrage versicherte uns die nette Kellnerin zudem, dass alle Fleischgerichte, außer Schäufele (wegen des Knochens), auch als Seniorenportion verfügbar wären. Dass trotzdem Schäufele als Seniorenportion bestellt wurde, zeigt, dass Senioren keinesfalls leichtgläubig sind, sondern die Dinge kritisch und hartnäckig hinterfragen. Alle Gerichte erwiesen sich als schmackhaft und reichlich, besonders das Schäufele, das es – zur kurzen Erinnerung – nicht als Seniorenportion gab. Kein Wunder also, dass auf dem Teller eines Sportkameraden ein Klos mit Soße und reichlich Fleisch zurück blieben. Was nun? Essen vernichten kommt für die Nachkriegsgeneration nicht in Frage. Also wanderten Klos, Soße und der Rest vom Schäufele in eine Dose. Deckel drauf und fertig ist die Not-Ration. Und zweifelsfrei ist es ein gutes Gefühl, im Theater, im Hotel oder auf den Exkursionen der kommenden Tage stets ein schmackhaftes Gericht dabei zu haben.


Für den Weg zur Freilichtbühne bedurfte es jedoch keines Proviants, denn die Burg lag nur wenige Schritte entfernt vom Gasthof. Da wir – ähnlich unseren Spitzenpolitikern – nie ohne persönlichen Fotografen auf Reisen gehen, entstanden auf der Bühne der Burg noch schnell einige schönen Gruppenfotos, und dann kündigten Fanfarenstöße den Beginn des Schauspiels um den Raubritter Eppelein an.


Das Stück erzählt vom verarmten Ritter in der Zeit des selbstbewussten und reichen Nürnberger Bürgertums. Die Laienschauspieler ließen das Mittelalter für ein paar Stunden auferstehen, und die Zuschauer freuten sich an den derben Streichen des Eppelein, der den Reichen nahm und die Armen – also auch sich selbst – beschenkte, und der seinen Häschern immer wieder ein Schnippchen schlug.  Am Ende verliert er zwar zuerst sein Pferd und dann sein Leben, doch bleibt der Eppelein als Legende und Mythos der moralische Sieger und lebt weiter in Gedichten und Sagen oder in einem Theaterstück wie wir es an diesem Sommerabend genießen durften.


Zurück per Bahn, fuhr das Grüppchen, in dem ich mich befand, im Bahnhof gerade eine lange Rolltreppe hinab, als uns zu unserer Verwunderung eine vor uns befindliche Gruppe auf der anderen Seite der Treppe wieder aufwärts entgegenkam. Offensichtlich korrigierten sie gerade einen fälschlich gewählten Weg. Wir hingegen gingen im Untergeschoss weiter und wählten die in Laufrichtung nächste Treppe nach oben, so dass die Korrektur des gleichen Fehlers (ohne Wechsel der Laufrichtung) wie die folgerichtige Abfolge der Abschnitte eines genau so beabsichtigten Weges erscheinen musste. Hat man dieses einfache Prinzip verinnerlicht, ist man bereit für Höheres.


Im und außerhalb des Bahnhofs und trotz der späten, fast mitternächtlichen Stunde pulsierte das Leben in der Nürnberger Innenstadt. Doch nur Wenige von uns nahmen weiterhin aktiv daran teil. Den Bewohnern der Zimmer mit Stadtblick wurde die Teilnahme allerdings auch ohne Verlassen des Hotels noch bis in die Morgenstunden ermöglicht, es sei denn sie entzogen sich dem bunten und geräuschvollen Treiben durch die Benutzung von Ohrstöpseln.


Am Morgen des zweiten Tages unserer kleinen Reise, waren alle nach einem reichlichen Frühstück wieder für neue Eindrücke bereit. Vormittags führte uns ein Stadtspaziergang bei schönstem Sommerwetter, das den bis dato heißesten Tag des Jahres erahnen ließ, zum Wahrzeichen Nürnbergs, der Kaiserburg, die sich wie aus einem Sandsteinfelsen emporwachsend über der Altstadt erhebt.


Bei der Verteilung der Audioguides für die Burgbesichtigung wurden beim Zählappell nur 13 von 14 Mann registriert. Die Frage, wer sich von der Truppe entfernt hatte, sollte durch Einsatz digitaler Bildtechnik gelöst werden. Doch auch hier ergab die Zählung via Gruppenfoto nur 13 Personen, d.h. der Faktencheck bestätigte die Zahl 13. Fehlte als in Wirklichkeit niemand oder war das Foto der Kategorie „Fake News“ zuzuordnen? Völlige Konfusion entstand als bekannt wurde, dass wir 15 Audioguides besaßen, also sogar einen mehr als die – bislang – als sicher angenommen Zahl von 14 Gruppenmitgliedern, so dass Stimmen laut wurden, welche sich fragten, ob mit zu vielen Audioguides der Rundgang durch die Burg überhaupt wie geplant möglich sei. Zum Glück gesellte sich der fehlende Sportfreund endlich zur Gruppe, die nun mit 14 Mann vollzählig war, und auch das Problem des überzähligen Audioguides wurde souverän und unbürokratisch gelöst, indem er einfach in den Sammelbehälter zurückgelegt wurde.


Der Rundgang durch die Kaiserburg brachte uns die Epoche der deutschen Wanderkaiser in Erinnerung, die samt Hofstatt und Gefolge zur Verwaltung des Reiches permanent das Land bereisten. Diese schöne Tradition ist uns lieb und teuer, so dass wir gern Millionen an Steuergeldern zahlen, um wenigstens Reste davon zu bewahren, u.a. indem immer noch zahlreiche Politiker zwischen der ehemaligen Hauptstadt Bonn und der Hauptstadt Berlin pendeln und ebenso durch die Existenz der beiden Strandorte des Europaparlaments in Brüssel und Straßburg. 

 

Nach kurzer Rast im „Burg Cafe Beer“ und dem obligatorischen Gruppenfoto am Fuße der geschichtsträchtigen Burg, waren wir fit genug, um die Altstadt mit einer kleinen Eisenbahn auf Rädern im Design der legendären Adler-Lok zu erkunden. Anschließend konnte jeder ein paar Stunden zur freien Verfügung nach eigenem Gutdünken gestalten, denn die nächste gemeinsame Unternehmung, eine Führung durch die historischen Felsengänge Nürnbergs, fand erst am späten Nachmittag statt.


Im Gegensatz zu den 37 Grad, die an der Oberfläche herrschten, waren die ca.10 Grad in der Tiefe der Felsenkeller eine willkommene Abkühlung. Nun sind die Felsenkeller in Nürnberg nicht etwa nur einfache natürliche und etwas ausgebaute Hohlräume, sondern sie stellen ein 25.000 Quadratmeter umfassendes, mehrschichtiges System aus Gängen dar, die in mühevoller Handarbeit in den weichen Sandstein gehauen wurden, auf dem die Stadt Nürnberg ruht. Solche Ganglabyrinthe zeugen normalerweise davon, dass Mineralien oder Erze abgebaut und gefördert wurden. Anders die Felsenkeller. Sie sind nicht entstanden, weil dem Erdreich etwas Wertvolles entnommen wurde, sondern um der Erde eines der kostbarsten Dinge anzuvertrauen, die sie hervorzubringen vermag – das Bier.

 

Die Felsenkeller, in denen das Bier in früheren Jahrhunderten kühl gelagert und damit haltbar gemacht wurde, bewahrten das Hauptgetränk der Menschen dieser Zeit. Denn das Wasser aus den Brunnen der Stadt war für ihre Bewohner aufgrund seiner bakteriellen Verunreinigungen durch Abfälle und Fäkalien nicht genießbar und führte zu Krankheit und Tod. Bier hingegen war infolge des Brauprozesses bekömmlich und wurde von Kindern ab 3 Jahren und Erwachsenen täglich und reichlich getrunken. Der jährliche Durchschnittsverbrauch soll bei 500 Litern pro Person gelegen haben. Um die Bekömmlichkeit des Bieres zu garantieren, wurde schon frühzeitig das Reinheitsgebot angeordnet, das zum Bierbrauen nur Wasser, Hopfen und Gerste (Malz) vorschreibt. Im Sommer sicherten mit Eis gefüllte Kammern die notwendige Kühlung. 

 

Die große Zeit der Bierkeller ging zu Ende als Carl von Linde um 1875 die Kältemaschine erfand. Ab 1912 wurden in den Kellern von der Lebensmittel-Firma Harrer Salzgurken gelagert und im Zweiten Weltkrieg auch Sauerkraut, das aufgrund seines hohen Vitamin-C-Gehaltes als „kriegswichtiges Produkt“ eingestuft war. So saßen während der Bombenangriffe viele Nürnberger Bürger zwischen oder auf den Krautfässern und überlebten so die Verheerungen. 

 

Das seit Jahrhunderten gebraute Bier in Nürnberg ist übrigens das kupferfarbene, traditionelle Rotbier, dessen ausgeprägten samtig weichen Körper mit milder Hopfennote wir zum Abschluss unserer Führung probieren durften. 

 

Auf dem Rückweg zum Gasthaus „Im Pillhofer“ unweit unseres Hotels verdunkelten bereits die Wolken eines Regengebiets den Himmel über der Stadt. Doch wir erreichten den Gasthof mit Müh‘ und Not und tranken dort Bier, mal gelb , mal rot. Als der Regen endlich pausierte, war der Abend unbemerkt in die Nacht übergegangen, und nur einige Wenige wollten noch einen letzten Abendtrunk im Gasthof „Bruderherz“ genießen. Doch kaum hatten sie im Schankraum am großen runden Tisch Platz genommen gesellte sich pö a pö fast die gesamte Mannschaft hinzu und die Stimmung wurde bei Scherzen und lustigen Gedichten ausgelassen und fröhlich. Und auch dem Bier wurde kräftig zugesprochen, denn einem Wunsch Wilhelm Buschs waren wir als kreative Köpfe schon hinlänglich nachgekommen: Die erste Pflicht der Musensöhne - ist, dass man sich ans Bier gewöhne. 

 

Nachdem gefrühstückt und ausgecheckt war, liefen die PkW-Besatzungen am Morgen des Abreisetages zum wenige Minuten entfernten Parkhaus, um die Koffer im Auto zu verstauen und sich dann zum Eingang des gegenüberliegenden Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zu begeben. Das heißt alle PkW-Besatzungen bis auf eine, welche überzeugt war, ihr in einem anderen Hotel nächtigender und inzwischen – wie ausgemacht - im Parkhaus wartender Fahrer würde sie am Hoteleingang in der Fußgängerzone abholen, um ihnen den Transport der Koffer zu ersparen. Zu ihrem Leidwesen materialisierte die Überzeugung nicht zur Realität, so dass ihre Koffer letztlich erst einmal einen Zwischenstopp im Museum einlegen mussten. 

 

Um das größte kulturgeschichtliche Museum des deutschen Sprachraums, denn um nichts Geringeres handelt es sich beim Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, in Gänze zu erkunden, hätte es Tage bedurft. Die fachkundige kunstbegeisterte Leiterin unserer kleinen Führung kompensierte jedoch die fehlende Masse an betrachteten Ausstellungsstücken dadurch, dass sie uns aus der simplen physischen Realität ausgewählter Objekte (wie dem Behaim-Globus und Meisterwerken Albrecht Dürers) in höhere Dimensionen der Kunsthistorie, der Materialkunde, der Mythologie, der Geschichte, der Malerei oder der Kartographie, um nur einen kleinen Teil dessen zu erwähnen was möglich wäre, zu entführen. 

 

Nach dem reichlichen Genuss geistiger Nahrung, der fast schon einer mentalen Völlerei glich, sollte auch der Körper zu seinem Recht kommen gemäß dem Leitspruch „Mens sana in corpore sano“ wie wir als frisch upgegradete Bildungsbürger zu sagen pflegen. Die Fischerei Oberle nahe Erlangen war ein idealer Ort, um beim traditionellen Abschlussessen das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist wieder herzustellen. 

 

Und damit fand auch diese schöne Reise ihr Ende. Eine Reise, die uns neue, interessante und angenehme Erlebnisse schenkte und uns auf noch nicht gekannte Wege führte, die wir zielgerichtet be- und durchschritten oder denen wir ziellos und intuitiv folgten. Doch gleich ob zielgerichtet oder ziellos, wir können niemals fehl gehen getreu einem weisen Spruch, der uns Zuversicht und Selbstvertrauen gibt für weitere gemeinsame und erlebnisreiche Touren der TSV-Männergymnastik:


Wer nicht weiß, wohin er will, 

für den ist jeder Weg der richtige.

 

Günther Meinhold

 

 

Bild zur Meldung: Nürnberg in drei Tagen